Sie kennen die Situation: Frühmorgens strahlendes Wetter, welche Einladung endlich mal eine grössere Bergtour zu machen! Sommerliche Temperaturen, keine Wolke weit und breit - Regenjacke? Vielleicht? Wäre wohl besser - für alle Fälle! Und die Notapotheke auch. Handy nicht vergessen. Und wenn wir von einem kräftigen Gewitter überrascht werden? Also Notproviant, etwas Wasser, Kocher und ... vielleicht die Alu-Folie für eine kalte Nacht? Und die Zusatzbatterie für das Smart-Phone? Taschenlampe - na klar... und ...

Notfallplanung kann ganz schön anstrengend sein! Vielleicht doch nochmal die Wetterprognose konsultieren? Aber mit Prognosen ist das so ne Sache, wie oft lagen die Wetterfrösche schon daneben!

Wie im tatsächlichen Leben auch. Ein englisches Bonmot lautet: «Never make predictions especially about the future!» Genau besehen ist unser Leben reichlich gefüllt mit Fehlprognosen, manchmal arg schlimmen. Wer sieht schon mit Sicherheit voruas, dass Firmen pleite gehen, die Börse crasht, unerwartet Kriege beginnen, Terror-Anschläge passieren ...

Nassim N. Taleb befasst sich in seinem Buch «Der Schwarze Schwan» mit der Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Alle waren nicht im Bereich des Denkbaren, sie kamen - mathematisch gesprochen - nur in den Rändern der Normalverteilung vor, wo jeder Statistiker sagt: «Kann man vergessen!». Stattgefunden haben sie trotzdem.

Wie geht man damit um?

Man kann alle Eventualitäten bedenken und - siehe Bergwanderung - Vorkehrungen treffen. Sich absichern ist absolut vernünftig und weise. Nur: Es gibt Grenzen! Wenn Sie für die Bergwanderung alle denkbaren Eventualitäten vorsehen wollen, wir Ihr Rucksack ziemlich schwer und das Ganze entwickelt sich mehr zu einer militärischen Übung und ist nicht mehr Vergnügen.

Man kann sich nicht gegen alle Risiken absichern - gegenüber schwarzen Schwänen schon gar nicht. Andere Konzepte sind vonnöten. Die Natur gibt uns dafür Hinweise.

Haben Sie schon einmal beobachtet, wie ein in der Natur verletzter Baum weiterwächst? Oder wie verlassene Siedlungen von Pflanzen überwuchert und vereinnahmt werden? Wo ursprünglich Häuser standen, die Kultur der Menschen Bäume und Pflanzen abgeholzt haben, holt sich die Natur den Raum zurück. Die Kraft und Fitness der Natur ist stark genug, zu überleben.

Ein schwarzer Schwan im persönlichen Leben kann heissen: Verlust des Jobs - völlig unerwartet. Oder: Durch einen Unfall stirbt Ihr Partner, ein Kind, eine gute Freundin? Wohl dem, der ein gutes Netzwerk oder einen Notgroschen für schlechte Zeiten zurückgelegt hat. Aber trotzdem: Nach einiger Zeit ist man auf sich gestellt und dann zählen andere Dinge.

Körperliche und seelische Fitness

Damit ist weniger der häufige Besuch von Gym's oder Kirchen gemeint, sondern der starke Wille, eine schwierige Situation zu bestehen und überwinden. Baruch de Spinoza nannte es «Conatus», aber schöner hat es Paul Eluard ausgedrückt: «Le dur désir de durer.» Gerade schwierige Situationen können Menschen ungeahnte Kräfte verleihen.

Sinnhaftigkeit

In schwierigen Situationen braucht es Orientierung an einem Sinnhaften Ziel. Viktor Frankl's berühmter Satz «Wo ein Warum ist, gibt es auch ein Wie!» fängt diesen Gedanken prägnant ein. Oft sind es schwierige Situationen, die Menschen dazu bringen, erstmals in ihrem Leben über das «Warum?» nachzudenken.

Nassim N. Taleb haben solche Überlegungen dazu angeleitet, das Konzept der Antifragilität zu entwickeln. Ein begrifflicher Zungenbrecher, aber eigentlich einfach:

Schwierige, ja vielleicht sogar existenzbedrohende Ereignisse, die wir bewältigen, machen uns stärker!

Oder zurück zum Bild der Bergwanderung: Wenn wir denn tatsächlich in einem Gewittersturm in einer verlassenen Alphütte übernachten müssten, wäre das eine nützliche Erfahrung für's Leben!

Werner Inderbitzin
Prof. Dr. oec. publ.