Wir haben die Wahl

Wir haben Einfluss auf das, was wir selber entscheiden können. Das ist z.B. was ich esse, wen ich zu meinen Freunden zähle, der Job grundsätzlich, aber auch wie ich leben möchte etc. Das sind die Dinge, deren Verlauf wir weitestgehend selber bestimmen können.

Viele andere Dinge liegen hingegen völlig ausserhalb unserer Einflussnahme. Das kann das Verhalten des Chefs sein, der Stau auf dem Nachhauseweg, die Reaktion meines Partners usw. Interessanterweise glauben wir oft, dass wir einen Einfluss auf diese Dinge haben, aber tatsächlich ist dieser gering bis gar nicht vorhanden. Und dennoch versuchen wir den Ausgang zu beeinflussen, geben uns schlimmstenfalls die Schuld dafür oder grämen uns mit Gedanken daran.

Wir Menschen reagieren also in vielen Fällen auf etwas, auf das wir keinen Einfluss haben. Reiz - Reaktion.

Wer entscheidet denn, ob und wie wir reagieren? Unser Gehirn ist einer ständigen Flut an immensen Informationsmengen ausgesetzt. Daher selektiert es Informationen und sucht heraus, was es als relevant ansieht. Dann kommen individuellen Erfahrungen hinzu. Alles, was wir im Zusammenhang mit anderen, Erlebnissen, Geräuschen, Emotionen erlebt haben (der individuelle "Rucksack" eines Menschen) beeinflusst die Reaktion. Es gibt also keine "neutrale" Reaktion, sondern lediglich „meine eigene Reaktion". Und jeder andere Mensch wird Dinge, Erlebnisse anders, auf seine eigene Art bewerten und entsprechend reagieren auf den Reiz.

Insbesondere in der Kommunikation liegt viel Verzerrungs-Potential. Dazu hat Friedemann Schulz von Thun das Kommunikationsquadrat entwickelt (Quelle: https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-kommunikationsquadrat). Anhand dessen gibt es vier Intentionen, wenn wir eine Botschaft senden, also vier Schnäbel, mit denen wir reden und ebenso vier Ohren, mit denen wir hören können. Das zeigt das immense Miss-Interpretations-Potential einer Kommunikation zwischen zwei Menschen sehr schön auf.

Interessanterweise bestätigen wir uns auch ganz oft in unserer Wahrnehmung und suchen Bestätigung für unsere Reaktionen und Einschätzungen. „Halo-Effekt" oder „Self-fulfilling Prophecy": Wir neigen dazu, bei einer Person, die uns sympathisch ist, nach positiven Verstärkern zu suchen. Unser eigenes Verhalten dieser Person gegenüber ist auch von Wohlwollen und Sympathie geprägt, was natürlich die Wahrscheinlichkeit einer positiven Reaktion erhöht. Tritt dieses positive Verhalten dann ein, fühlen wir uns bestätigt in der Sympathie für diese Person. Es wird also so, wie wir denken, dass es wird- stark vereinfacht gesagt.

Genauso wie im positiven Sinne, funktioniert das (leider) auch im negativen Sinne. Das kann Reaktionen Dritter auf einen Reiz erklären, die wir als Beobachtender oft völlig übertrieben finden. Der Betroffene hingegen sieht sich mit jedem Verhalten in seiner negativen Wahrnehmung bestätigt, und er wird es nur schwer neutral oder gar wohlwollend deuten können.

Was hilft uns, zu verstehen, wie wir Dinge sehen?

  • Zunächst hilft es, anzuerkennen, dass alles eine mögliche Sichtweise ist, es aber noch unfassbar viele andere Sichtweisen geben kann. Wie ich auf etwas schaue, ist meine Art. Jeder andere schaut anders auf etwas.
  • Der Austausch mit anderen, der Wille zum Verständnis kann helfen. Zuhören, ohne antworten zu wollen, einfach nur um das Gegenüber zu verstehen.
  • Nachfragen, ob man das Gesagte richtig verstanden hat. (An die 8 Möglichkeiten der Kommunikation denken.)
  • Reflektion der eigenen Reaktionen. Das kann im eigenen Zwiegespräch sein, aber auch mit dem Partner, Chef, Kollegen etc. Wie kann die eigene Reaktionen von Dritten interpretiert werden?
  • Einen inneren Stopper einbauen, der insbesondere in emotionalen Situationen innehalten lässt. Will ich reagieren wie immer? Was ist mein höheres Ziel hierbei? Möchte ich eine Eskalation? Geht es hier um mein Ego?

Grundlegend wichtig für all das ist der Wille zur bewussten Entscheidung. Will ich meine "Reaktionen" überdenken, will ich anders reagieren? Was wären Vorteile dessen? Und was könnte das für meine Beziehung zu anderen bedeuten?

Wir können nicht die Geschehnisse oder gar die Menschen selbst verändern, die uns begegnen. Durch eine bewusste Reflektion unserer Wahrnehmung können wir jedoch unsere Einstellung den Geschehnissen, den Menschen gegenüber verändern und haben somit Verhaltensalternativen.Wir beeinflussen, wie wir handeln, wie wir uns verhalten, wie wir anderen begegnen. Und vor allem, was wir denken. Wir haben Einfluss auf unsere Gedanken und damit auf die Sichtweise auf etwas.

Im Coaching nutzen wir diesen Perspektivenwechsel oft, wenn es um neue Ansätze und das Hinterfragen von Reaktionen, Reaktionsmustern geht. So erlaube ich mir, Dinge, Geschehnisse, meine Sichtweise aus anderen Perspektiven zu betrachten. Zunächst gilt es, herauszufinden, was das (eigentlich neutrale) Thema wäre, und dann die vorhandene (subjektive) Sichtweise darauf anzuschauen. Nun kann man gemeinsam weitere Sichtweisen anschauen und besprechen, was sich aus der jeweiligen Sicht auf das Thema daraus ergeben könnte, die Selbsterkenntnis. Daraus können sich ganz neue Ansätze ergeben, frische Sichtweisen auf etwas/jemanden/eine Situation entstehen und die Selbstwirksamkeit aktivieren.

In der praktischen Anwendung kann der Perspektivwechsel zu einer liebgewonnen Angewohnheit werden, denn er lässt mir die Wahl, meine Sichtweise zu wählen. Ich kann selber entscheiden, wie ich reagiere und wie ich auf Situationen, Menschen, Ereignisse schaue. Denn nochmal- nur das kann ich tatsächlich beeinflussen.