«Guter Rat ist teuer!» sagt eine alte Volksweisheit. Damit sind nicht primär finanzielle Kosten gemeint. Vielmehr bringt man dadurch zum Ausdruck, dass Ratschläge manchmal sehr schwierig sind und oft nicht richtig den Adressaten erreichen. 

Und auf der anderen Seite: Wo soll man sich Rat holen? Ist es überhaupt klug, sich beraten zu lassen - hat man nicht oft mehr Ratschläge, als eigentlich Probleme vorhanden sind? Zu viele «Räte» von Freunden, von Eltern, Partnerinnen und Partnern, Berufskollegen ... ?

 

Ohne Verstand lässt sich nicht leben

Baltasar Gracián, spanischer Jesuit (1601-1658), hat da eine klare Haltung: In seinem 1647 veröffentlichten Traktat «Oráculo manual y arte de prudencia» (Handbuch und Kunst der Vorsicht) schreibt er in Paragraph 176:

«Ohne Verstand lässt sich nicht leben. Aber viele wissen nicht, dass sie nichts wissen, und andere glauben zu wissen, wissen aber nichts. Gebrechen im Kopf sind unheilbar, und da die Unwissenden sich selber nicht kennen, suchen sie auch nicht, was ihnen mangelt, nämlich Wissen. Manche würden weise sein, wenn sie es nicht zu sein glaubten. ... Sich beraten lassen schmälert nicht die Grösse und zeugt nicht von Mangel an Fähigkeiten, sondern ist gerade der Beweis derselben.»

In schwierigen Situationen müssen wir uns austauschen mit anderen Menschen. Vor allem ein Gespräch kann wohltuend und erleichternd wirken. Wir alle haben schon erfahren, wie schwierig es wird, wenn wir uns nicht mehr mündlich verständigen können - zum Beispiel wenn wir in einem fremden Land uns nicht in der Muttersprache verständigen können. Über ein Problem, eine schwierige Entscheidung, über Ängste zu sprechen und sich jemandem anzuvertrauen, kann erleichtern und ein Schritt auf die Lösung zu sein.

 

Gute Gesprächspartner

Stellt sich allerdings die Frage, was ein gutes Gespräch und einen guten Gesprächspartner ausmachen. Zweifellos sollte ein Gespräch eine andere Sicht auf die Dinge bringen, Perspektiven erweitern und neue Aspekte eines Problems oder einer Situation aufzeigen. Wir alle kennen den Moment des erlösenden Gedankens: «Daran habe ich noch nie gedacht - warum eigentlich nicht?» Es fällt uns wie Schuppen von den Augen - warum sind wir nicht längst selber darauf gekommen!? Erleichterung und - ja: So mache ich es!

Aber: Dieses Gefühl der Erleichterung ist auch ganz nahe bei einem Gefühl der Unterlegenheit, der Bevormundung. Warum spielt sich mein Kollege immer so superschlau auf? Was er mir vorschlägt, geht doch in meiner Lage gar nicht, wie soll ich das nur anstellen??

Niemand hat Menschen gern, welche sich als intellektuelle Genies geben, Problemlagen in fünf Minuten messerscharf analysieren und eine fixfertige Lösung präsentieren. Selbst wenn die Lösung gut und nicht widerlegt werden kann - niemand liebt es, von Musterschülern vorgeführt zu werden!

Und warum nicht? Unser Körper, unser ganzes Selbst spürt, dass wir nicht einbezogen wurden in die Durchdringung einer Frage, die uns beschäftigt und umtreibt. Als fremdbestimmte Person sind wir nur Ausführende für Massnahmen, die Andere für uns vorgedacht haben.

Ein guter Gesprächspartner, eine gute Gesprächspartnerin hört zu und versucht, sich in unsere Situation hineinzudenken. Wenn es gelingt, Menschen zum Reden zu bringen und dann auch reden zu lassen, ist das schon ein Riesenschritt hin zu einem Ausweg. Äussert ein Menschen Ärger, Zorn, Verzweiflung - überhaupt Emotionen über eine Konfrontation oder eine Herausforderung, so zeigt das, dass er oder sie intensiv lebt, ja im wahrsten Sinne lebendig ist.

Ein guter Gesprächspartner zeigt Perspektiven auf und deckt vor allem blinde Flecken auf, die wir nicht sehen wollen, weil sie unangenehme Erkenntnisse zum Inhalt haben oder schwierige Entscheidungen nahelegen.