Ein systemtheoretischer und psychologisch fundierter Blick

Führungskräfte in neuen Rollen sind wie Knotenpunkte in einem hochkomplexen System. Ihr Einstieg hat Auswirkungen auf bestehende Dynamiken, Routinen und unausgesprochene Spielregeln. Genau deshalb ist ein strukturiertes, individuelles Onboarding-Coaching keine Kür, sondern systemrelevant. Insbesondere dann, wenn die Organisation sich selbst im Wandel befindet. In diesem Artikel zeige ich auf, weshalb dem Onboarding für Führungskräfte gerade in KMU zuwenig aufmerksamkeit geschenkt wird und welches die Folgen davon sind.

Warum wird dem Thema wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Vier Gründe, die mir in der Zusammenarbeit mit KMU immer wieder begegnen:

  • KMU verfügen über wenig interne Ressourcen für professionelles Onboarding für Führungskräfte.
  • Je höher eine Führungskraft einsteigt, desto eher wird erwartet, dass sie sich selbst einen Überblick über den zuständigen Bereich verschafft und zeitnah wertschöpfend arbeitet.
  • Die Erwartungen von neuen Führungskräften sind gestiegen, aber noch nicht bei allen Arbeitgebern angekommen. Ein professionelles und individuelles Onboarding wird daher als wertvolle erste interne Entwicklungsmöglichkeit angesehen.
  • Die Klärung von neuen Rollen wird unterschätzt; Neue Rollen verlangen nach neuer Klärung, speziell bei branchenfremden und jungen Führungspersönlichkeiten treffen Kultur, Strategie und Struktur auf eine im Umbruch stehende Unternehmens-DNA.

Doch was passiert, wenn diese Unterstützung fehlt?

1. Systemische Irritation statt Integration

Organisationen sind soziale Systeme mit historisch gewachsenen Mustern, kulturellen Codes und informellen Machtstrukturen. Neue Führungskräfte lösen durch ihre blosse Anwesenheit Irritation aus. Sie verändern unbewusst das Gefüge durch andere Fragestellungen, neue Kommunikationsmuster oder schlicht durch den Rollenwechsel an der Spitze.

Fehlt das Onboarding, wird diese Irritation nicht bewusst bearbeitet. Die Folge: Das System reagiert mit Widerstand, Loyalitätskonflikten und verdeckten Loyalitätsbekundungen gegenüber der früheren Führung. Die neue Führungskraft wird zur Projektionsfläche für alte Spannungen ohne Schutz, ohne Orientierung, ohne Spielraum zur bewussten Positionierung.

2. Psychologischer Stress durch Unklarheit und Widersprüche

Während Mitarbeitende oft behutsam eingeführt werden, sollen Führungskräfte schnell liefern. Sie sollen gleichzeitig beobachten, anpassen, entscheiden und verändern. Komplexe Rollenerwartungen treffen auf nicht erklärte Spielregeln. Ohne Onboarding-Coaching fehlt der Raum für Reflexion: Was ist tatsächlich veränderbar? Was wird erwartet offiziell wie inoffiziell? Wo liegen Chancen, wo Fallstricke?

Dieser permanente Spagat erzeugt Stress. Nicht selten entsteht ein psychologischer Kurzschluss: Entweder Rückzug in operative Aufgaben („Ich arbeite mich erst mal rein“) oder blinder Aktionismus („Ich muss sofort etwas bewegen“). Beide Varianten gefährden den systemischen Anschluss und oft auch die eigene Glaubwürdigkeit.

3. Verlorene Führungsautorität in einer sensiblen Phase

Gerade junge oder branchenfremde Führungspersönlichkeiten erleben die Anfangsphase als Gratwanderung. Ohne Begleitung fehlt die Möglichkeit, eigene Denkmuster zu prüfen und die organisationalen Muster zu entschlüsseln. Statt Anschluss zu finden, kämpfen sie mit Überforderung, innerer Unsicherheit und externem Druck. So gerät ausgerechnet die für Kultur, Klarheit und Orientierung zuständige Rolle selbst in Schieflage.

Was das bedeutet, zeigen Zahlen: Laut einer Softgarden-Umfrage aus 2023 kündigen 21 % der Neuen während der Probezeit. Hauptgründe: schlechte Arbeitsatmosphäre, unklare Erwartungen, schwaches Onboarding. Führungskräfte sind hiervon besonders betroffen – mit entsprechend grösseren Folgen für die Organisation.

4. Verpasste Steuerung in einer kritischen Schnittstelle

Neue Führungskräfte sind oft das Zünglein an der Waage: Sie können versteckte Konflikte aufdecken, Stillstand beenden oder sogar toxische Kulturmuster in Frage stellen. Genau hier liegt ihr Potenzial aber auch ihre Verwundbarkeit. Ohne Coaching verpufft dieser Hebel oder schlägt zurück. Statt Aufbruch gibt es Rückfall in alte Muster. Statt Kulturwandel verstärkt sich das Misstrauen. Statt strategischer Klarheit wächst operative Verzettelung.

Ein professionelles Onboarding-Coaching ist in solchen Momenten kein Luxus. Es ist ein strukturierendes Moment in einem offenen System. Es unterstützt dabei, sich selbst zu verorten, systemisch zu verstehen, was wirkt und wie man wirksam bleibt. Und es verhindert, dass genau die Menschen scheitern, die eigentlich Stabilität, Orientierung und Veränderung bringen sollen.

Fazit:

Wer neue Führungskräfte ohne gezieltes Onboarding-Coaching ins System lässt, geht ein hohes Risiko ein für die Führungskraft selbst, für das Team, für die Kultur. Organisationen sind dynamisch, nicht neutral. Sie fordern Orientierung oder sie wehren ab. Hier kommt der Glaubensatz ins kalte Wasser springen

Ein sauberes Onboarding ist darum kein Feel-Good-Programm. Es ist eine strategische Intervention an einem hochsensiblen Knotenpunkt der Organisation.
„Ins kalte Wasser springen“ klingt mutig – ist aber riskant, wenn man weder die Tiefe noch die Strömung kennt. Wer als Führungskraft ohne Einführung ins System geworfen wird, riskiert nicht nur sich selbst, sondern auch die Stabilität des gesamten Teams.