Heute wollen wir Emotionen einmal unter der Perspektive betrachten, dass durch sie stets auch Energie und Information übertragen werden und uns die Frage stellen, wie man diese Eigenschaft von Emotionen im Alltag für sich konstruktiv nutzen kann. Dazu ein Beispiel aus meiner eigenen beruflichen Vergangenheit, das mir bis heute sehr gut im Gedächtnis geblieben ist. Es zeigt auf, wozu Ärger gut sein kann:

Ich war damals als Abteilungsleiter verantwortlich für mehrere Teams. In einem dieser Teams gab es Spannungen wegen anstehender Umstrukturierungen. Einige Teammitglieder hatten sogar Angst um ihre Stelle und reagierten daher recht empfindlich auf verschiedenste Signale, die sie rasch als hohe Gefahr interpretierten. Eines Tages erfuhr ich, dass einige Teammitglieder mir in diesem Zusammenhang vorwarfen, sie nicht richtig informiert und ihnen zu einer zentralen Frage die Wahrheit bewusst nicht gesagt hätte.

Während ich nun also mit dem Fahrrad auf dem Weg war zu einem Meeting mit besagtem Team, spürte ich einen einen ziemlich grossen Ärger in mir aufsteigen. Denn ich war überzeugt, dass diese Vorwürfe unbegründet waren. Zudem verletzte mich der von diesen Mitarbeitenden geäusserte Verdacht auch. Doch was sollte ich jetzt tun? Den Ärger einfach runterschlucken? Oder den Ärger in der Sitzung offen zeigen und damit vielleicht die Stimmung noch verschlechtern?

Ich entschied mich schliesslich für eine andere Strategie: Ich entschied mich nämlich dafür, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um die Situation zu klären und miteinander zu schauen, was wirklich passiert war. Dass es sich dabei um eine ziemlich komplexe Angelegenheit handelte, deren Klärung wohl einigen Aufwand nach sich ziehen würde, war mir völlig bewusst. Und im Normalfall hätte ich vielleicht die Sache auch aus einer gewissen Bequemlichkeit heraus einfach auf sich beruhen lassen. Aber mein Ärger gab mir genau in diesem Moment die erforderliche Energie, um eben nicht den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, sondern mich der Situation zu stellen – fest entschlossen, die Sache erst dann zu beenden, wenn wirklich alles restlos geklärt war. Mit diesem festen Vorsatz begann ich das Teammeeting. Und es wurde ein anstrengendes, anspruchsvolles und letztlich sehr konstruktives Meeting. Ich duldete in diesem Moment keine diffusen Erklärungen und halbherzigen Antworten, sondern wollte alles genau wissen. Ich war jeweils erst zufrieden, wenn ein Punkt restlos geklärt war. Und das brauchte viel Energie, zumal einige Teammitglieder es lieber gesehen hätten, wenn wir eben nicht zum Kern der Sache vorgestossen wären – womöglich in der Ahnung darüber, dass sich ihr Verdacht tatsächlich als unbegründet herausstellen würde. Der innere Ärger verhalf mir zu dieser notwendigen Hartnäckigkeit. Und dann – nach ungefähr einer Stunde – oh Wunder! Die Sache hatte sich geklärt. Die Befürchtungen einiger Mitarbeitenden, die Stelle zu verlieren, hatte sich in Luft aufgelöst und das Team entschuldigte sich danach bei mir wegen des sich als unberechtigt erwiesenen Vorwurfs. Damit waren wir wieder arbeitsfähig – und hatten gleichzeitig einiges zum Aufbau einer tragfähigen Vertrauenskultur getan.

 

Was also war geschehen?

Zunächst war eine starke Emotion – nämlich mein Ärger. Sicher war es wichtig, dass ich dieses an sich eher negative Gefühl damals nicht einfach runtergeschluckt und verdrängt habe, sondern es ernst genommen und ihm den ihm gebührenden Platz in mir drin zugewiesen habe. Das reichte aber noch nicht aus. Ich habe aus ihm auch die Information gezogen, dass dahinter ein Anliegen von mir steckt, das mir sehr wichtig war und das ich unbedingt angehen wollte. Diese Erkenntnis gewann ich erst durch die Frage, was mich denn eigentlich so ärgerlich gemacht hatte. Denn einerseits war es mir sehr wichtig, ein fairer Vorgesetzter zu sein, der seine Mitarbeitenden auch in schwierigen Zeiten stets transparent informiert. Andererseits war es mir aber ebenfalls wichtig, ein Klima des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen und jegliche im Raum stehenden Vorwürfe oder Misstrauensvoten sogleich zu klären.

Schliesslich verhalf mir mein Ärger auch dazu, die erforderliche Kraft und Energie aufzubringen, um mein Vorhaben – die lückenlose Klärung der Situation –in die Tat umsetzen zu können. Denn es brauchte in dieser Situation wahrlich meine ganze Aufmerksamkeit und eine gesunde Portion an Energie, um durchzuhalten, bis die ganze Wahrheit auf dem Tisch lag.

 

Was wir daraus lernen können

Auch sogenannt «negative Emotionen» können in unserem Alltag hilfreich sein – vorausgesetzt, man wischt sie weder vorschnell unter den Tisch noch lebt man sie auf unreflektierte Weise aus.

 

 

Und was sind deine Erfahrungen mit diesem Thema? Wo hast du Emotionen schon als wertvollen Informations- und Energieträger nutzen können?